Fugue

Synopsis

Ben ist jung, Student und pädophil. Nach einem missglückten Outing entfernt er sich aus Mainz. Dabei braucht seine Schwester Linda, die in einer komplizierten Scheidung steckt, gerade jetzt seine Hilfe. Während Ben sich mit dem Auto von Mainz entfernt, ruft sie ihn an und bittet ihn einen Nachmittag auf ihre Tochter aufzupassen. Doch er blockt ab. Denn er sieht sich als Monster und traut es sich deshalb nicht zu. Doch anstatt offen mit ihr zu sprechen, entfernt er sich sowohl zwischenmenschlich als auch physisch von ihr. Er sieht sich als Opfer und das, obwohl er noch nie übergriffig geworden ist und das auch nicht vorhat. Er ist kein triebgesteuertes Monster, das sich selbst nicht im Griff hat.

Auf seiner Flucht trifft Ben zufällig auf Mia und holt sie dadurch unwissentlich aus einer dissoziativen Fugue. Mia wurde durch ein Ereignis Zuhause getriggert und ist ebenfalls geflohen. Nur weiß sie nicht, wo sie ist und kann sich auch nicht daran erinnern, wie sie dorthin gekommen ist. Die Anfang 20-jährige wurde von ihrem Stiefvater viele Jahre sexuell missbraucht. Jedoch wurden diese Erinnerungen von ihrer Psyche dissoziiert, wodurch sie sich nicht explizit an den sexuellen Missbrauch erinnern kann.

Gemeinsam reisen Ben und Mia durch Rheinland-Pfalz. Dabei lernt Ben, dass er ehrlich zu seiner Schwester sein muss und ihn die Pädophilie nicht automatisch zu einem schlechten Menschen macht. Mia hingegen lernt, dass sie eine schwere Vergangenheit hat, die sie aufarbeiten muss. Dafür brauchen beide professionelle Hilfe.

Director’s Statement

Pädophilie

Der Film soll mit einem Stigma bezüglich des Themas Pädophilie aufräumen. Übergriffe auf Kinder müssen weiterhin aufs schärfste verurteilt werden, dennoch sollte ein offener gesellschaftlicher Umgang geschaffen werden, der es pädophilen Menschen ermöglicht, sich zu outen und Unterstützung zu bekommen. Gerade ist eher mit dem Gegenteil – einer gesellschaftlichen Ausgrenzung – zu rechnen.

Betroffene leben mit einer Sexualität, die sie nicht außerhalb ihrer Fantasie befriedigen können. Sie empfinden Liebe, die niemals auf dieselbe Weise erwidert werden kann. Daher bin Ich der Überzeugung, dass ein verständnisvoller Umgang mit nicht übergriffig gewordenen Pädophilen dazu führen kann, dass diese auch weiterhin nicht straftätig werden. Und das sollte das Ziel sein.

Laut Kein Täter werden geht „die Mehrheit des sexuellen Kindesmissbrauchs […] von Menschen aus, die eigentlich sexuell auf erwachsene Sexualpartner ausgerichtet sind. Nur die Minderheit der Taten gehen auf eine pädophile Motivation zurück.“ [Quelle] Außerdem wird betont, dass eine pädophile Neigung nicht zwangsläufig zu einer sexuellen Handlung an Kindern führt (ebd.). 

Die Charité Berlin betreibt seit 2005 das Programm Kein Täter werden. Hier können sich Menschen mit pädophiler Neigung melden und psychologisch betreut werden. Die Charité zielt nicht auf eine Konversionstherapie ab, da man sexuelle Präferenzen nicht umprogrammieren kann. Ziel ist es, PatientInnen beizubringen, ihre Neigung zu kanalisieren. Dies bedeutet, dass Fantasien und Neigungen nicht schlimm sind – das Ausleben dieser Neigung und der damit verbundene Übergriff auf Kinder ist unverantwortlich.

Dissoziative Identitätsstörung

Die Dissoziative Identitätsstörung (DIS) wird im Kino bisher als Sensation behandelt. Das früher als Multiple Persönlichkeitsstörung bekannte Krankheitsbild ist gerade durch Filme wie Fight Club (USA, 1999) von David Fincher oder Split (USA, 2016) / Glass (USA, 2018) von M. Night Shyamalan geprägt. Während in Fight Club kein Bezug zur Erkrankung hergestellt wird, wird in Split und Glass zwar das zugrundeliegende Trauma erwähnt, jedoch dient es lediglich dazu, die Superkräfte des Antagonisten zu erklären.

Die DIS ist ein weitaus komplexeres Thema. Ihr liegt immer ein schweres Trauma zu Grunde, das vor dem fünften bis achten Lebensjahr stattgefunden haben muss. Häufig wird in diesem Kontext ritueller Kindesmissbrauch genannt. Der/die Betroffene hat während dieser Zeit keine Bezugsperson, die ihm/ihr Halt bietet und somit helfen könnte, das Trauma zu überwinden. Aber auch eine starke Verwahrlosung des Kindes kann Auslöser für eine DIS sein. Das Krankheitsbild ist dadurch gekennzeichnet, dass der Körper von verschiedenen Persönlichkeitszuständen gesteuert wird. Die Betroffenen geraten durch Trigger schnell in Flashbacks und dissoziative Zustände, aus denen sie kaum herauskommen.

Der Film zeigt nicht das fast schon fantastische Bild der DIS. Multiple Persönlichkeiten, wie sie beispielsweise im Film Split im Zentrum stehen, dienen schnell nur der Attraktion. Bei der Protagonistin Mia äußert sich ihr Trauma in einer Dissoziativen Fugue. Dabei verlassen Betroffene plötzlich ihr gewohntes Umfeld. Das Bewusstsein schaltet sich erst Stunden oder teils Tage und Wochen später wieder ein. Dadurch fühlt es sich für sie wie ein plötzlicher Ortswechsel an. Während der Fugue bleiben Betroffene sozial fähig, haben ein gepflegtes Äußerliches und sind somit nach außen kaum auffallend. Während der Film versucht Empathie für Menschen mit pädophiler Neigung aufzubauen, wird durch die Figur der Mia vermieden, dass sexueller Missbrauch an Kindern relativiert wird.

Ein 43-minütiger Kurzfilm kann nicht das komplexe Krankheitsbild in seiner Vollständigkeit veranschaulichen und aufschlüsseln. Es wird versucht ein realistisches und gut recherchiertes Bild der langfristigen Konsequenzen, die sexueller Missbrauch im Extremfall auf die Psyche von Kindern haben kann, wiederzugeben. Die Dissoziative Fugue schafft es dabei das Trauma für unbetroffene greifbar und verständlich zu machen.

Team

Buch und Regie: Jonas Daniels
Kamera: Leon Forthmann
Ton und Musik: Claudio Krott
Grading und Mastering: Justin Janßen
Cast: Lennart Gottmann, Emma Schoepe

Gefördert durch die Film + Mediennachwuchsförderung Rheinland-Pfalz
in Kooperation mit Simon Feller Media
finanziert mit der Crowd auf Startnext

Fugue war zu sehen bei:

Setubal, Portugal
Frankfurt, Deutschland
Bayern, Deutschland

Stimmen:

“The approach proposed by the film between aggressor and victim – in a peer-to-peer and conflict-free manner, so as to even give the idea of a partnership – elevates an extremely complex and difficult subject to a level of reflection rarely attained.

It provokes us, challenges our beliefs and expands the limits of the discussion on abuse and pedophilia.

The interpretation work allows us to empathize with the protagonists, with an editing and direction work that is the perfect support for the development of the narrative.”

Special Mention, Jury des CLIT-Festivals